Zuwendungen zu Lebzeiten: Pflichtteilsergänzungsanspruch entfällt, wenn die Anrechnung an den Pflichtteil gewünscht war
Das Gesetz sieht vor, dass ein Pflichtteilsberechtigter nie weniger als seinen gesetzlichen Anteil bekommen darf. Unabhängig davon also, ob der Erblasser ihm etwas im Testament hinterlassen hat oder nicht, steht ihm dieser Anteil zu. Dessen Berechnung führt jedoch immer wieder zu Schwierigkeiten, insbesondere wenn der Erblasser schon zu Lebzeiten Zuwendungen gemacht hat, wie im folgenden Fall des Oberlandesgerichts München (OLG).
Eine Frau hatte mit ihrem Sohn einen Erbvertrag geschlossen, in dem sie ihn zum Alleinerben einsetzte. Später ergänzten die beiden den Erbvertrag und die Frau vermerkte darin, dass sie ihrer Tochter Kontovollmacht erteilt habe und dass durch Abhebungen vor ihrem Tod deren Pflichtteilanspruch vollständig abgegolten sei. Die Tochter hob im Laufe der Zeit ca. 60.000 EUR ab und verstarb einige Jahre später. Nach dem Tod der Erblasserin stritten nun ihr Sohn und die Kinder ihrer verstorbenen Tochter darüber, ob noch Pflichtteilsansprüche der Tochter bestünden.
Das OLG entschied, dass den Kindern der verstorbenen Tochter kein Pflichtteilsergänzungsanspruch zusteht. Es stellte klar, dass nur jene Zuwendungen ergänzungspflichtig sind, die auch an Dritte gingen und nicht ausschließlich an die Pflichtteilsberechtigte selbst. Aus von Zeugen belegten mündlichen Aussagen und der Ergänzung des Erbvertrags ergab sich nach Ansicht des Gerichts, dass die Zuwendungen hier mit der klaren Absicht erfolgt waren, dass sie auf den Pflichtteil angerechnet werden. Die Enkelkinder gingen daher leer aus.
Hinweis: Es muss zwischen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch unterschieden werden. Den Pflichtteil bekommen nur gesetzliche Erben, wohingegen auch testamentarische Erben einen Ergänzungsanspruch haben, wenn die Anordnung im Testament unter dem Pflichtteil (Hälfte des gesetzlichen Erbteils) liegt. Bei beiden spielen lebzeitige Zuwendungen eine Rolle. Auf den Pflichtteil muss man sich ohne zeitliche Beschränkung das anrechnen lassen, was man bereits zu Lebzeiten des Erblassers bekommen hat. Der Erblasser muss dabei jedoch deutlich machen, dass diese Zuwendung auch auf den Pflichtteil angerechnet werden soll. Der Pflichtteilsberechtigte muss also spätestens bei der Zuwendung von der Anrechnung wissen, damit er die Möglichkeit hat zu entscheiden, ob er die Zuwendung annimmt oder nicht. Auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch werden Zuwendungen an den Pflichtteilsberechtigten ebenfalls zeitlich unbegrenzt angerechnet, jedoch ist hierbei keine Anrechnungsanordnung erforderlich. Dies kommt aber nur zur Anwendung, wenn Zuwendungen auch an Dritte erfolgt sind.
Quelle: OLG München, Urt. v. 06.02.2019 - 20 U 2354/18
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(aus: Ausgabe 03/2019)